Alles gut bei dir – die nervigste Floskel der Welt
Alles gut oder nicht alles gut – das ist hier die Frage. Meistens heuchelt diese Floskel Heiterkeit und Interesse vor. Wir zeigen, wie du es besser machst.
Alles gut oder nicht alles gut – das ist hier die Frage. Meistens heuchelt diese Floskel Heiterkeit und Interesse vor. Wir zeigen, wie du es besser machst.
Ständig begegnet es uns, verfolgt uns und will uns eine positive, gelogene Heiterkeit aufzwingen: das "Alles gut." Wenn jemand fragt "Alles gut?", ist bei dir natürlich alles gut. Fragt dich jemand, ob du dich in der U-Bahn setzen willst, sagst du "Nein, alles gut." Aber ist wirklich immer alles gut? Interessiert es den anderen überhaupt, wenn nicht "alles gut" ist? Wir gehen der Sache auf den Grund.
Wie oft hast du die Frage schon gehört? Erinnerst du dich, was du geantwortet hast? Wahrscheinlich "Ja, und bei dir?" oder "Ja, alles gut soweit" oder "Joa, passt schon". Und warum? Vermutlich, weil du dir dachtest, dass es den anderen nicht interessiert, selbst wenn du vor Stress ertrinkst, gerade absolut keine Power für die Arbeit hast, du an Liebeskummer leidest oder einen Streit mit deinem Chef hattest.
Du bleibst vage, konzentrierst dich auf das Positive und versuchst, die entgegengebrachte Heiterkeit zu erwidern. Und genau das ist das Problem: Sowohl Fragesteller:in als auch Gefragte:r tänzeln um die Wahrheit herum. Keiner traut sich, über Gefühle zu sprechen, Stress anzusprechen oder zu sagen, dass nicht alles gut ist. Warum?
Wirst du im Meeting mit "Hallo zusammen, alles gut bei euch?" begrüßt, wirst du das Gefühl haben, dass erwartet wird, dass alles gut ist. Warum auch nicht? Du sitzt hier, hast einen Job, darfst am Meeting teilnehmen, darfst am kreativen Prozess teilhaben und deine Ideen einbringen. Oder zumindest zuhören. Ob dir das Meeting wertvolle Arbeitszeit stiehlt, du einen wichtigen Abgabetermin einzuhalten hast oder dich das Thema nervt, ist nicht relevant, oder?
Schwer zu sagen. Kolleg:innen und Chefs begrüßen ein Kollektiv gerne mit der Frage "Alles gut?" und verwenden sie als Begrüßungsformel. Eines ist klar: Die Frage soll gute Laune machen, alle ins Boot holen und einen lockeren Gesprächseinstieg schaffen. Das Problem ist: Du weißt nicht, ob dein Gegenüber die Frage ehrlich beantwortet haben möchte oder eine lockere Antwort erwartet, der sowieso nur halb zugehört wird, während die Gedanken schon beim ersten Punkt auf der Agenda sind.
Oder noch schlimmer: Deine Gesprächspartner:innen können deine Gefühle und Gedanken, sofern du sie ehrlich äußerst, als unangebracht abtun. Es ist nicht alles gut? Okay, komm halt damit klar. Du hast Stress? Plane besser. Du hast einen wichtigen Termin? Den haben wir alle. Das Meeting nervt dich? Such dir einen anderen Job. Du hast Liebeskummer? Das hat bei der Arbeit nichts zu suchen.
Mal davon abgesehen, dass nicht jeder einzeln erzählen kann, was bei ihm gefühlsmäßig so abgeht, wäre das der Worst Case, oder?
Wie immer werden Worte von Menschen individuell interpretiert. Das heißt: Du empfindest die Frage "Hey, alles gut bei dir?" eventuell als Floskel und als unehrlich gemeintes Interesse an deinen Gefühlen. Tatsächlich kann die andere Person wirkliches Interesse daran haben, wie es dir geht. Während du dich von der Frage in die Ecke gedrängt fühlst und denkst, du müsstest locker und heiter antworten, ist dein Gegenüber eventuell verwundert, weil du nicht weiter ausholst, sondern mit einem knappen "Ja, passt soweit, und bei dir?" antwortest.
Hat dein:e Gesprächspartner:in sich mehr erhofft? Wollten sie eine ehrlich gemeinte Verbindung aufbauen? Nachhaken, ob wirklich alles gut ist bei dir? Hatten sie gemerkt, dass du in den letzten Tagen ruhig warst, aber haben sie erst jetzt Gelegenheit, mit dir unter vier Augen zu sprechen?
Das alles ist Interpretationssache und du wirst es abschließend nicht wissen. Du kannst nur spekulieren und die Floskel so erwidern, wie sie dir im Augenblick passt.
Okay, kommen wir zum spannenden Teil: Wie kannst du die "Alles gut"-Floskel umgehen? Ganz einfach: Stellst du die Frage, steige nicht einfach damit ein, ob "alles gut" ist. Werde konkret: "Hallo, wie geht es dir?" Lasse deine:r Gesprächspartner:in ausreichend Zeit, sich Gedanken über die Frage zu machen und sie zu beantworten. Und wichtig: Sei empathisch. Antwortet die andere Person lediglich mit "Gut soweit, danke" oder etwas Vergleichbarem, ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass sie noch etwas verborgen hält. Sie wird sich fragen, was du willst und mit deiner Frage bezweckst. Versuche, aufrichtig und ehrlich interessiert zu wirken. Dein Gegenüber wird es zu schätzen wissen.
Bist du diejenige Person, die antwortet, denke darüber nach, ob wirklich "alles gut" ist, bevor du die Floskel der anderen Person um die Ohren haust. Wir neigen dazu, viel zu schnell zu sagen, dass “alles paletti” ist. Ist alles gut, oder bist du gestresst? Hast du vorhin ein Problem gehabt, das dich eine Stunde Zeit gekostet hat? Sag, dass du genervt bist. Möchtest du dich setzen in der U-Bahn? Nimm das Angebot an. Emotionen, Gefühle, Stress und Panik sind keine Schande, sondern super menschlich. Steh dazu!
Alles gut, oder? Nein, nicht immer. Und das ist okay. Wenn du das nächste Mal gefragt wirst, ob alles gut ist, kannst du ruhig ehrlich antworten. Merkst du, dass dein Gegenüber nicht darauf eingeht, was du sagst, weißt du, dass es geheuchelt war. Und wenn du das nächste Mal einen anderen Menschen fragst, ob alles gut ist, versuche dich vorher zu bremsen und stattdessen zu fragen, wie es der anderen Person geht. Vielleicht kommt eine ausweichende Antwort, vielleicht eine so ehrliche wie bei dir. Und vielleicht ergeben sich dadurch ganz andere Themen und ihr versteht euch danach viel besser. Nicht umsonst heißt es: Ehrlich währt am längsten. Auch bei simplen Fragen im Alltag.