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Systemfehler im Bildungssektor?

Numerus Clausus

Der Numerus Clausus steigt für beliebte Studiengänge weiter an, ebenso die Wartezeiten. Hat das Bildungssystem versagt? Wir suchen nach Lösungen für die NC-Vergabe.

Seit dem 04. Oktober 2017 beschäftigt sich das deutsche Bundesverfassungsgericht mit dem Auswahlverfahren des Studienfachs Medizin. Das System des Numerus Clausus steht schon seit längerer Zeit in der Kritik, doch nun hat das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen das Verfassungsgericht angerufen – um die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu prüfen.

Bisher entscheidet bei der zentralen Vergabe der Studienplätze ein Quotensystem – das durch den Notendurschnitt des Abiturs bestimmt wird. Die Folge der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht könnte eine Neuregelung des Vergabesystems für begehrte Studienfächer wie Medizin und Jura sein. Wir haben den Numerus Clausus unter die Lupe genommen und zeigen mögliche Änderungen des Bildungssystems auf.

Zentrale Studienvergabe nach Abinote

Früher als innovatives Auswahlkriterium für Fehlentscheidungen eingeführt, ist der Numerus Clausus mittlerweile ein Verhinderungsinstrument für das Wunschstudium. Knapp 20 Prozent der zur Verfügung stehenden Studienplätze werden an Studieninteressierende mit den besten Abiturnoten vergeben, ein weiteres Fünftel steht für Wartesemester bereit. Für die restlichen Plätze können Hochschulen eigene Auswahlkriterien festlegen, darunter fallen Einzelfachnoten, Tests, Auswahlgespräche und vorhandene Berufspraxis. Letztendlich spielt bei den Auswahlverfahren der Hochschulen die Abiturnote ebenfalls eine entscheidende Rolle.

Im Wintersemester 2017/2018 war für das Studienfach Humanmedizin in den Bundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein ein Notendurchschnitt von 1,1 notwendig – in Kombination mit zwei Wartesemestern. In den übrigen 14 deutschen Bundesländern musste sogar eine Abinote von 1,0 erzielt werden, um Humanmedizin studieren zu können. Im Jahr davor lag der Numerus Clausus bei ähnlichen Werten. Das Wartezeitverfahren beträgt zwischen 14 und 15 Semestern – also mehr als 7 Jahre! Für die Wartezeit spielt dabei die Abiturnote keine Rolle, warten heißt warten.

Ähnlich sieht es auch bei weiteren beliebten Studiengängen aus, wie etwa Jura oder Psychologie. Je nach leichten örtlichen Schwankungen lag der Numerus Clausus in der letzten Bewerbungsphase zwischen 1,0 und 1,6 – mit einer Wartezeit von bis zu 16 Semestern.

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Abitur als Aushängeschild der Bildungspolitik?

Paradoxerweise wird das deutsche Abitur schon seit Jahrzehnten als zentrales Symbol im Bildungssektor herausgestellt. Das „Abi in der Tasche“ öffnet alle Türen und Wege – Uni, Welt und gesellschaftliches Prestige. Ganz nach dem Grundgesetz: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“. Die deutsche Leistungsgesellschaft und das vorbildliche Bildungssystem haben keine Grenzen nach oben – die Zulassungsbeschränkungen der Universitäten sprechen eine andere Sprache.

Historische Entwicklung des Numerus Clausus

Seine Anfänge haben die Zulassungsbeschränkungen an deutschen Unis in den 60er Jahren zu Zeiten der Bildungsexpansion. Mit den wachsenden Zahlen an Abiturienten sind die Universitäten schlichtweg überfordert – vor allem bei Studiengängen mit beschränkter Platzanzahl. Die Folge sind bundesweite Zulassungsbeschränkungen, doch bereits damals äußerte das Bundesverfassungsgericht seine Bedenken zur Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz.

Die Numerus Clausus-Urteile aus den Jahren 1972 und 1978 bemängeln die Chancengleichheit bei den Auswahlkriterien für zulassungsbeschränkte Studienfächer. Die willkürlich festgelegte Notengrenze schließe eine Großzahl an Studienanwärtern aus. Die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz wurde mit der Wartezeitquote als Hintertür ausgehebelt – ein weltweit einmaliges Vergabesystem. Denn so steht die Tür für Bewerber mit schlechten oder durchschnittlichen Abiturnoten immer offen, verbunden mit einer Wartezeit.

In den folgenden Jahrzehnten wurden die Unzulänglichkeiten des Systems immer deutlicher. Die benötigte Abiturnote stieg Jahr für Jahr, genauso wie die Wartezeiten. Die letzten Jahre zeigen, dass ohne eine Reform ein Ende des Anstiegs von Durchschnittsnote und Wartezeit kaum möglich ist. Die Folge des verfehlten Bildungssystems war die jährliche Zunahme der sogenannten „NC-Flüchtlinge“ in umliegende europäische Länder. Osteuropäische Länder haben sich darauf spezialisiert und verdienen mit der Aufnahme der „NC-Flüchtlinge“ viel Geld. Das Nachbarland Österreich war mit den ins Land strömenden Studenten überfordert und gezwungen, eine Ausländerquote einzuführen.

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Intransparenz des Auswahlsystems an Universitäten

Das Problem der Vergaberegelung liegt in dem veralteten System, das mit den aktuellen Umständen und zeitlichen Veränderungen kaum noch vereinbar ist. Universitäten entscheiden mit eigens bestimmten Kriterien nach Ermessen über die Auswahl der Studierenden. Dabei sind die Auswahlkriterien jeder Hochschule unterschiedlich zusammengesetzt und in der Folge intransparent. Das Bewerbungsverfahren für den Numerus Clausus schließt zudem eine Ortspräferenz ein, bei der zwischen lediglich sechs Städten gewählt werden kann. Dabei kann die Ortsangabe ebenfalls zum Verhängnis werden, auch wenn sonst alle Kriterien erfüllt werden.

Der Vorteil dieses veralteten Systems für Universitäten ist eine einfache und wenig aufwendige Verteilung der Studienplätze. Dieses geht jedoch an den heutigen Anforderungen vorbei und soll daher gerechter und fachlich sinnvoller werden. Denn die notenbasierte Auswahl durch den Numerus Clausus geht zudem komplett an der fachlichen Kompetenz vorbei. Ein 1er Abi qualifiziert noch lange nicht zum hervorragenden Arzt. Hinzu kommen die unterschiedlichen Notenschnitte in den einzelnen Bundesländern, die bei der Vergabe ebenfalls kaum berücksichtigt werden. Ein weiterer Faktor ist die Noteninflation durch immer besser werdende Studenten und Schüler, die eine Differenzierung über das Notensystem zusätzlich verkomplizieren. Aus dem Zeichen für eine beschränkte Studienplatzanzahl ist ein Ausdruck der Exzellenz geworden, das Studieren zum Privileg hervorhebt.

Schüler Studenten Team
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Rechtlicher Hintergrund der Zulassungsbeschränkungen

Vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet ist das Auswahlverfahren, da es dem Grundgesetz widerspricht. Dieses sieht nämlich eine freie Studien- und Berufswahl für Personen mit einer Hochschulzulassungsbeschränkung vor. Aus rechtlicher Sicht muss daher die Abweisung der Studenten geprüft werden. Die zentrale Frage bezieht sich daher auf die mögliche Verfassungswidrigkeit des Auswahlverfahrens an deutschen Hochschulen. Jährlich verklagen zahlreiche angehende Studenten die Universitäten, an denen sie eine Absage für den gewünschten Studienplatz bekommen haben. Denn die Hürden werden schwieriger, die Chancen zum Traumberuf werden geringer.

Universitäten begründen den Numerus Clausus mit der großen Flut an Bewerbungen – denn vor allem beim Medizinstudium gehen oftmals vier- bis fünfmal so viele Anfragen ein wie es Studienplätze gibt. Im Wintersemester 2017/2018 bewarben sich über 43.000 Studenten für das Medizinstudium – für etwa 9.000 ausgeschriebene Studienplätze.

Die Tendenz der Studenten und Studieninteressierten ist dabei weiter steigend – höchste Zeit also für Universitäten, die Auswahlverfahren an die heutige Zeit anzupassen. Das Medizinstudium ist nur der Anfang und steht exemplarisch für das gesamte Auswahlsystem im Bildungssektor. Weitere Studiengänge wie Jura und Psychologie müssen nach dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts unweigerlich nachziehen.

Kanada als Vorbild im Zulassungsvergabesystem

Bei der Überarbeitung des Auswahlverfahrens sollen zukünftig spezifische Tests in den Vordergrund rücken, die zusätzliche Fähigkeiten der Bewerber prüfen. Neben den ärztlichen Kompetenzen spielen auch empathische und soziale Fähigkeiten eine Rolle. Als Vorbild in dieser Methode ist hier das Land Kanada zu nennen, das schon seit Jahren auf das erweiterte Sichtfeld setzt. Die dortigen Tests beleuchten nicht nur fachspezifisches Wissen, sondern beinhalten auch eine objektive Einschätzung im Umgang mit Menschen. Das Hamburger Universitätsklinikum in Eppendorf macht mit den „Multiple Mini Interviews“ bereits erste Schritte in diese Richtung – und weg vom Numerus Clausus.

Die Bundesärztekammer spricht von einem Assessment-Center – eine weitere denkbare Neuerung wäre eine Landarztquote. Denn junge Ärzte zieht es vor allem in Großstädte, in ländlichen Gebieten herrscht hingegen oftmals Ärztemangel.

Studentin Schülerin Schule Universität Kritik Kritisch Böse Nachdenken
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Numerus Clausus im deutschen Bildungssystem – unser Fazit

Die aktuelle Diskussion um den Numerus Clausus im deutschen Bildungssystem zeigt vor allem eine Sache – es muss sich etwas ändern. Nun liegt es am Bundesverfassungsgericht, die Weiterentwicklung des Vergabesystems einzuleiten. Andernfalls schwinden durch die kontinuierlich wachsenden Bewerberzahlen und Noteninflationen die Chancen auf den Wunschstudienplatz, die Wartezeiten hingegen steigen immer weiter. Der Numerus Clausus für das Studienfach Medizin liegt bereits in vielen Bundesländern bei 1,0 und kann daher nur schwer weiter sinken.

Die vollständige Ablösung der Abiturnote als Zulassungskriterium ist schwer vorstellbar, doch einige neue Ansätze könnten damit kombiniert werden:

  • Dazu zählen etwa fachspezifische und persönliche Tests oder spezielle Quoten und Formeln
     
  • Zur zusätzlichen Entlastung könnten neue Studienplätze geschaffen werden, die eine steigende Nachfrage nach Studienplätzen adäquater bedienen
     
  • Nimmt sich die Bundesregierung Kanada zum Vorbild, könnten auch soziale Faktoren bei der Studienplatzvergabe einbezogen werden
     
  • So gelänge eine gerechtere Vergabe, die die fachliche Kompetenz umfassender und nicht nur an Hand der Abinote ermittelt
     
  • Im Medizinstudium ist die Diskussion bereits im vollen Gange. Andere Fachbereiche könnten bald folgen.